Die Feier der heiligen Messen geht zurück auf eine Initiative von zwei Studenten im Jahr 1996. Zuvor bereits hatte einer der beiden, Hinrich Wiese, im März 1994 unseren Diözesanbischof Reinhard Lettmann brieflich um die Errichtung von Messfeiern im alten Ritus gebeten. Der Bischof hatte damals geantwortet, dass er nicht wisse, ob überhaupt ein hinreichendes Interesse bestehe. Vor diesem Hintergrund begannen die beiden Studenten schließlich im November 1996, Unterschriften zu sammeln, mit dem Ziel, das tatsächliche Interesse an der überlieferten heiligen Messe nachzuweisen.
Unterstützt von Pro Missa Tridentina und Una Voce, konnten wir im Februar 1997 unserem Bischof die überwältigende Zahl von annähernd 500 Unterschriften zukommen lassen. (Wer die Zeiten erlebt hat, kann sich vorstellen, wie mühsam das Vorhaben war und auf wie unterschiedliche, teils geradezu allergische Reaktionen man dabei stieß.) Daraufhin empfing uns Bischof Lettmann zu einem sehr freundlichen Gespräch, in dessen Verlauf wir ihm unseren Antrag auf Einrichtung dieser Messfeiern überreichten und er uns auch sofort eine heilige Messe an jedem Sonntag bewilligte, damals ein für deutsche Verhältnisse äußerst großzügiges Entgegenkommen.
Kurz darauf meldete sich bei uns der zuständige Regionalbischof, Weihbischof Friedrich Ostermann. Nach den ersten Planungen sollten die heiligen Messen bereits ab Mai 1997 in der Klinikenkirche der Universitätsklinik Münster gefeiert werden, was aber an der Absage der dortigen Gemeindeleitung scheiterte. Der Rest des Jahres 1997 verging mit der „Herbergssuche“, der Suche nach einer geeigneten Kirche, mit vielen Rückschlägen und Absagen.
Während dieser Zeit fanden wir unverhofften Trost in Köln, wo im Oktober 1997 das bahnbrechende und unvergessliche Pontifikalamt mit Kardinal Stickler in St. Kunibert stattfand, an dem wohl 2000 Gläubige teilnahmen. In seiner Predigt hob der Kardinal die Theozentrik der überlieferten Liturgie hervor und es war genau das, was wir in der Praxis des Novus Ordo immer vermissten. Für uns war dies wie der Beginn einer neuen Ära: War es bis dahin für traditionsverbundene Katholiken in Deutschland kaum denkbar, in einer gewöhnlichen Kirche eine heilige Messe im alten Ritus zu erleben, so gab es nun sogar ein Pontifikalamt in einer der großen Kölner Basiliken!
Erst im Dezember 1997 wurde uns entgegen der Unschlüssigkeit der damals noch bestehenden kleinen Pfarrgemeinde die Kirche St. Ægidii in der Innenstadt von Münster zugewiesen. Unsere erste heilige Messe, beginnend mit den Worten In nomine Jesu (wie ein Programm für uns), konnte am ersten Sonntag des Jahres 1998, dem Fest des heiligsten Namens Jesu, gefeiert werden. Sie wurde zelebriert von Pfarrer Dr. Werner Hülsbusch, einem Ratzinger-Schüler, der auch seinerseits, unabhängig von unserer Initiative, dem Diözesanbischof gelegentlich signalisiert hatte, dass er bereit wäre die alte Messe zu feiern, wenn er nur eine entsprechende Gemeinde hätte.Die Ægidii-Kirche war mit ca. 250 Gläubigen überfüllt, trotz der sehr ungünstigen Zeit von 8.30 Uhr und unseren begrenzten Möglichkeiten der „Werbung“. Was man so lange Zeit für unmöglich hielt, wurde jetzt Realität, wirkte aber für die Mitfeiernden dennoch wie ein Traum: Die verfemte und allseits mit einem einzigartigen Tabu belegte alte heilige Messe durfte tatsächlich gefeiert werden, die überlieferte römische Liturgie mit bischöflicher Erlaubnis als Sonntagsmesse eines Diözesanpriesters in einer schönen Innenstadtkirche, in aller Feierlichkeit mit dem wunderbaren lateinischen Choralgesang – unfassbar im Jahr 1998.
In der Kirchenzeitung: kein Wort dazu (ideologische Überforderung? Totschweigen als Strategie?) – bis heute ist in „Kirche und Leben“ noch nie über die Messfeiern in St. Ægidii berichtet worden, während die Lokalzeitungen in den zwei Jahrzehnten mehrmals über uns geschrieben haben.
Von diesem Sonntag an wurden die heiligen Messen reihum von drei bis fünf Diözesanpriestern zelebriert, die Petrusbruderschaft war von Anfang an leider nur „aushilfsweise“ zugelassen. Dieses System hat sich nicht sehr bewährt, auch weil es keine klare seelsorgliche und organisatorische Zuständigkeit gab, was auch zu Konflikten führte. Ohne geistliche Leitung und Struktur waren wir in den ersten zwölf Jahren (nach den Worten einer Gläubigen) eine „hirtenlose Herde“.
War die Organisationsform auch nachteilig, so durften wir doch viele Jahre Sonntag für Sonntag die heilige Messe in ihrer ehrwürdigen, wahrhaft sakralen Form erleben.
Gleich zu Beginn, schon zur ersten Messfeier, wurde die Schola Cantorum Monasteriensis unter der professionellen Leitung des ehemaligen Regionalkantors und Orgelsachverständigen des Bistums, Bernhard Terschluse, gegründet, der sich bis zu seinem Tod im Jahr 2011 mit all seiner Erfahrung für unsere Messen eingesetzt hat. Bis heute singt die Schola jeden Sonntag das vollständige lateinische Proprium.Auch nach der Genehmigung der heiligen Messen in St. Ægidii galt es, Hindernisse zu überwinden, denn man gab uns zu spüren, dass wir bloß geduldet waren: Weihrauch durften wir in der ersten Zeit nur körnchenweise verwenden, damit sich die Gläubigen der nach uns stattfindenden Pfarrmesse nicht gestört fühlten; die Kirchenglocken konnten bald auch für unsere Messe geläutet werden, die später sogar in der Kirchenzeitung unter den sonstigen Gottesdiensten aufgelistet wurde; erst nach Aufhebung der Pfarrgemeinde wurde es uns erlaubt, im Schaukasten der Kirche einen Hinweis auf unsere Messen anzubringen. So war es eben in der Zeit vor dem Motu Proprio von 2007.
Wie es sich gefügt hat, wurde die Kirchengemeinde St. Ægidii nach 2 1/2 Jahren mit der Nachbargemeinde St. Ludgeri fusioniert mit der Folge, dass von der Gemeinde aus keine Sonntagsmessen mehr in der Ægidii-Kirche stattfanden. Nach einer weiteren Fusion im Jahr 2007 gehört diese Kirche mittlerweile zur großen, aus ehemals vier Gemeinden gebildeten Innenstadtgemeinde St. Lamberti. Neben uns feiert seit vielen Jahren auch die Portugiesische Mission hier ihre heiligen Messen und seit kurzem die eritreisch-orthodoxe Gemeinde.Die heutige Ægidii-Kirche gehörte ursprünglich zum Kapuzinerkloster, das 1811 aufgelöst wurde. 1728 geweiht, besitzt sie eine von Johann Conrad Schlaun entworfene Fassade aus Baumberger Sandstein, während sie sonst dem Schlichtheitsideal der Kapuziner entsprechend ganz aus Backstein gebaut ist. Als die benachbarte Kirche der Pfarrgemeinde St. Ægidii 1821 einstürzte, übernahm die Gemeinde das als Militärmagazin genutzte Kirchengebäude. Glücklicherweise ist die Ægidii-Kirche im 2. Weltkrieg nicht zerstört worden – als einzige der Münsteraner Altstadtkirchen, so dass sich der aus der Zeit von 1860- 1882 stammende sehr harmonische Gesamteindruck des Innenraums erhalten hat: Kirchenschiff und Altarraum sind vollständig im Nazarenerstil ausgemalt. Die Wandbilder haben die Verehrung des allerheiligsten Altarsakraments zum Thema, was, wie bekannt, ein zentrales Anliegen „unserer“ Liturgie ist. Insofern sind wir also in St. Ægidii gut aufgehoben.
Über die Jahre haben sich für uns in St. Ægidii einige Verbesserungen ergeben: Natürlich hat sich das Motu Proprio Summorum Pontifcum sehr positiv ausgewirkt, kamen doch nun von höchster Stelle Wohlwollen und Wertschätzung, zugleich mit der endgültigen Feststellung der Existenzberechtigung der überlieferten Liturgie. (Noch unmittelbar vor dem Motu Proprio gab es im Vorfeld einer Hochzeitsmesse Mitte 2007 erhebliche Schwierigkeiten.) Anerkennende Worte kamen schließlich auch aus dem Diözesanklerus. So sagte uns ein westfälischer Weihbischof zum 10-jährigen Bestehen 2008: „Ihr habt ja viel erreicht mit eurem Dickkopf, habt sogar Päpste überzeugt!“
Neben Hochzeiten, Taufen und Erstkommunionen haben wir auch Firmungen und Pontifikalämter in St. Ægidii. Unvergessen ist auch das von Kardinal Castrillon-Hoyos zelebrierte Pontifikalamt im Dom zu Münster, anlässlich der PMT-Hauptversammlung 2001.
Seit Juni 2008 können wir zusätzlich zur Sonntagsmesse jeden Freitagabend eine heilige Messe feiern. Gemeindetreffen gibt es viermal im Jahr, mit Vorträgen zu Glaubensthemen. Wallfahrten unternehmen wir zweimal jährlich, jeweils an einem Samstag im Frühjahr und im Herbst, meist zu Wallfahrtsorten im eigenen Bistum (z.B. Eggerode, Telgte, Dülmen, Werl, Kappenberg …). Neu hinzugekommen ist in jüngster Zeit ein gemischter Projektchor, der sich u.a. der klassischen Polyphonie widmet. Für Anschaffungen und kleinere Ausgaben gründeten wir 2009 einen Förderverein (www.adjutorium.de), der sich sehr bewährt hat (diesen Schritt hätten wir viel früher machen sollen). Dieser Förderverein ist keineswegs ein Gemeindeersatz und hat somit keinen spirituellen Zweck, sondern dient nur als Kasse zur materiellen Unterstützung der Messfeiern im alten Ritus. Unser Stand wurde nochmals verbessert, als das Bistum Anfang 2010 mit Pater Dr. Chrysostomus Ripplinger OSB erstmalig einen Koordinator für den außerordentlichen Ritus ernannte. Seitdem haben wir einen Geistlichen, der für uns zuständig ist, sich um die gesamte Organisation kümmert und auch mit Abstand die meisten heiligen Messen in St. Ægidii feiert.
Über all die Jahre hatten wir stets einen guten, persönlichen Kontakt zum zuständigen Weihbischof. Unsere parallelen Bemühungen auf Pfarrei-Ebene waren bis 2017 leider nicht ganz so erfolgreich; zwanzig Jahre sind wir dort nicht auf ein spürbares Wohlwollen gestoßen, was sich allerdings in jüngster Zeit ganz erfreulich geändert hat.Mit unserer Situation in Münster konnten wir immer recht zufrieden sein, gerade wenn man sich vor Augen hält, wie sehr die Feier der überlieferten heiligen Messe anderswo in Deutschland eingeschränkt und behindert wurde. Was wir noch vermissen, ist eine aktive und vorbehaltlose Förderung aus eigener Überzeugung – die Einsicht in den überragenden Wert der überlieferten Liturgie wird sich, so Gott will, eines Tages auch in der Hierarchie durchsetzen, aber bis dahin muss wohl noch einiges Wasser die Aa hinab fließen.
Für zwei Jahrzehnte hat sich nun die Lebenskraft des alten Ritus in Münster gezeigt. Schon vor Jahren stellte ein maßgeblicher münsterischer Prälat fest, als er nach einiger Zeit sah, dass unsere Messen kein vorübergehendes Phänomen waren: „Feiert ihr immer noch die alte Messe? Ihr seid ja nicht totzukriegen.“ Deo gratias!
Autor: Guido Gunderloch
Dieser Artikel erschien im Magazin „Dominus Vobiscum“, Ausgabe Nr. 17 (November 2018), das mehrmals im Jahr von der Laienvereinigung „Pro Missa Tridentina“ herausgegeben wird.